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Gino Leineweber – Die Gedichte in Jeton Kelmendis Gedichtband

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Die Gedichte in Jeton Kelmendis Gedichtband,
der hier erstmalig in deutscher Übersetzung vorliegt, können wie ein Reisebericht gelesen werden. Einer poetischen Reise durch die Zeit im inneren Selbst des Dichters erlebt. Die häufig surrealistischen Beschreibungen geben dem Leser
einen großen Freiraum für seine eigene Imagination und stellen die Zeit nicht selten dadaistisch
dar, wie in dem Gedicht Am Anfang Meines Selbst,
in dem es heißt:
Es muss die Zeit der unwahren Wahrheit / der
stummen Worte gewesen sein
Oder im letzten Gedicht Unendlich verlängert, in
dem die Zeit beschrieben wird:
Sie hofft auf den Menschen / kehrt zu ihm zurück
Am Ende wird dazu lakonisch bemerkt:
Du – meine Zeit –
sag niemandem
dass das Leben ein Trick ist
Jeton Kelmendi variiert sein Thema mit hintersinnigen Vergleichen oder paradoxen Verhältnissen. Er führt uns an Hindernisse, die zum Mit- und
Zu-Ende-Denken zwingen
In Wie sie es eines Nachts wollte beobachtet der
Dichter mit wartendem, lauerndem, Blick:
–Nimm mich aus der Poesie
Ich fühle mich beengt– sagte sie
–hier zwischen Kommas–
Dem Ende haftet dann etwas raubtierhaft-selbstzerstörerisches an:
Dann steige ich auf
zum Feuer
wo ich für dich brennen werde
Jeton Kelmendi findet in seinen Gedichten einen
eigenen Ton, der ihn leicht erkennbar macht.
Er trifft eine auf poetische Bilder herauskristallisierte Lyrik und kontrastiert im Gegensätzlichen, mit dem er sich selbst, die Zeit und das Leben in Frage stellt.
In dem Gedicht An den Ausgängen klopfen heißt es
zunächst:
Jetzt klopft es am Ausgang der Eingänge
und wie üblich gibt es ein Dilemma
Wir essen und wir trinken
die Vergangenheit des heutigen Tages
um dann später zu konstatieren:
Die schwarze Nacht fiel auf einen Sonntag
Wir sahen nichts mehr
weder das Ereignis noch die Erzählung
Auch nicht wer uns gesehen hat
Alles nahm sein Verschwinden mit sich
Solche Verse lesen sich als konzentrierte Ergebnisse eines fortlaufenden Prozesses der Selbstund Weltbefragung. Alltägliche Wendungen
werden mit gewitzter Intonation zu griffigen poetischen und lassen sie bedeutend erscheinen,
wie in Freundschaft in der Pandemie:
Die Tage verbringen wir / ohne jeden Ausgang /
mit Gedanken und ein paar Worten.
In Kelmendis Gedichten gibt es weder Ideologie
noch Moral, sondern nur Beobachtungen, die
leicht, teilweise lakonisch daherkommen, wie
ganz am Ende, als es heißt:
Du – meine Zeit –
sag niemandem
dass das Leben ein Trick ist Der Dichter schreibt auch über sich, und man
kann sich bei jedem Gedicht fragen, wie weit
persönliche Erfahrungen in seine lyrischen Gedanken eingedrungen sind.
Gefällig sind seine Gedichte nicht immer, obwohl immer wieder schöngefärbte Bilder als lyrischer Kontrapunkt erscheinen.
Es gibt allerdings viele Zwischenräume, die vom
Leser selbst aufgefüllt werden müssen. Das
macht den besonderen Reiz von Jeton Kelmendis
Lyrik aus.

Gino Leineweber
September 2023

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